Minna

Ob der Name eine tiefere Bedeutung hatte, kann ich nicht mehr herausfinden. Meine Mutter, der Minna gehörte, hat schon vor mehr als 20 Jahren den Wohnort gewechselt. Und wenn ich von Zeit zu Zeit zu ihr auf den Friedhof gehe, vergesse ich stets, sie zu fragen.

 

Unser Mutter-Tochter-Verhältnis war nicht ganz unbelastet. Aber dass sie mir, als ältester von drei Töchtern, Minna hinterließ, rechne ich ihr noch heute hoch an.

 

Ich weiß, wie wertvoll ihr die blauweiße Porzellanschüssel war. Der Deckel und die Form machten Minna zu einer Suppenterrine. Die vermeintliche Suppenschüssel hat aber noch viele andere Talente, was bereits meine Mutter stets zu schätzen wusste.

 

Niemals sonst wurde ihr Deckel häufiger gelüftet, als in der Vorweihnachtszeit. Die legendären Mandeltaler, die mein Vater am ersten Adventssonntag buk, fanden in jedem Jahr ihren Platz in dem kostbaren Porzellangefäß. Und nur er hatte die Erlaubnis, den Deckel zu lüften. Ohne Kopfbedeckung wäre Minna ja nur noch die nur die Hälfte wert gewesen.

 

Das ist lange her, zählt aber zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen. Sehe ich Minna, habe ich wieder den Geschmack des köstlichen Gebäcks auf der Zunge, dass es nur zu dieser Zeit im Jahr gab.

 

Aber auch in meinem Hausstand hat Minna einen wichtigen Part übernommen:

 

Schließlich sind die schönen Anlässe selten, zu denen ich meine Kürbissuppe in einer Zwiebelmusterterrine servieren kann. Sie ist mir kostbar. Nicht nur, weil ich im Vergleich zu ihrem Alter, auch als Großmutter noch recht jung daherkomme. Bei „Bares für Rares“ würde das Altertümchen sicher seinen Preis erringen. Aber ich kann mir eine Trennung nicht vorstellen. Auch wenn mein Mann sich selber gerne als „Wegschmeisso“ in unserem Haushalt bezeichnet.

 

Es kommt auch vor, dass ich im Beisein der Gäste verzweifelt Minna suche. Wer sie noch nicht kennengelernt hat, fragt dann auch schon mal nach: „Meinst Du die hier?“, während seine Hand auf das Gefäß auf der Fensterbank weist, das im Frühjahr meine Primelkollektion präsentiert.

 

Dazu sei gesagt, dass mir kurz nach dem Tod meiner Mutter der Deckel zur Terrine herunterfiel. Macht aber nix. Sie hat es ja nicht mehr erlebt. Und die Terrine dient ohnehin eher als Blickfang, da die Suppe ja gleich auf die Teller verteilt wird. Und wenn Primeln sie krönen, vermisst man auch den Deckel nicht.

 

Und inzwischen suche ich auch nicht mehr nach Minna. Sie hat, seit der Arzt mir „täglich frische Vitamine!“ verordnete, einen festen Platz auf der Küchenarbeitsplatte.

 

 

Minna beherbergt jetzt je nach Saison Saftorangen, die ich mir zum Frühstück presse oder auch reife Tomaten aus unserem Garten.

 

 

 

Annette Doppke
Texterin

 

 

 

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